Dienstag, 27. September 2011

Rettet das Monster: Reformisten im Iran

 

Die Aufgabe der Reformisten: Wiederbelebung der Monster
Von den Kadscharen bis Resa Schah
Seit dem Kontakt mit der westlichen Welt hat der Iran in mehreren Wellen die Modelle aufgenommen und verarbeitet, die zur jeweiligen Zeit gängig waren. Während der Kadscharendynastie Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts, war das Osmanische Reich eine erste Brücke zu den Ideen der Aufklärung die aus dem Westen kamen.
Dies führte letztlich dazu, dass es zur konstitutionellen Revolution kam, die an erster Stelle die absoluten Rechte der Geistlichkeit und auch die des Schahs einschränkte. Das war zumindest das Ziel der damaligen konstitutionellen Bewegung. Nach und nach gelang es den Geistlichen aber, die Macht wieder zurückzuerobern. Sie waren es, die den Hof des Schahs in der Hand hatten. Dementsprechend stieg die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wieder. Resa Pahlawi machte sich dies zunutze, um damit seine Macht als Militärbefehlshaber und dann als Schah auszubauen und in eine Diktatur zu verwandeln. Er beschnitt den Einfluss der geistlichen Stiftungen, nahm einen Teil ihres Landbesitzes weg und begann mit symbolischen Reformen, beispielsweise mit dem Ersatz des Turbans durch Krawatte etc.
Da sich Resa Schah im Zweiten Weltkrieg Hitler annäherte, musste er seine Macht zugunsten seines Sohnes abtreten. Im Jahrzehnt nach Resa Schahs Abdankung wuchs die Protestbewegung im Iran an, die ihren Höhepunkt im Streit um das Erdöl fand und im Regierungsantritt von Dr. Mossadegh gipfelte. Mit dem Putsch von 1953 wurde diese Bewegung niedergeschlagen. Nun organisierten sich die Bewegungen vor allem im Untergrund. In den 1960er Jahren kam es zu ersten Partisanenaktionen. Die Antwort des Schahs – der von der US-Regierung dazu gedrängt wurde – war eine Landreform, die als Weiße Revolution in die Geschichte einging. Die heftigsten Gegner der Landreform waren die Geistlichen, die wie in Europa vor der Aufklärung riesige Ländereien besaßen. Damals tat sich Chomeini als Organisator von Protesten hervor, die eine islamische Tagesordnung vertraten. Chomeinis Bewegung wurde niedergeschlagen, Chomeini ging nach Nadschaf ins Exil.
Auch wenn die Landreform dem Schahregime viele Anhänger auf dem Land einbrachte, führte die Fortsetzung der Herrschaft mit diktatorischen Methoden dazu, dass das Regime seine Mängel nicht beheben konnte und die Proteste allmählich wieder anwuchsen. Die millionenstarke Protestbewegung auf den iranischen Straßen führte 1978 bis 1979 zum Sturz des Schahregimes. Mit Hilfe des Westens konnte Chomeini sich diese Energie zunutze machen und nun ein islamistisches Regime aufbauen. Die ganzen Hoffnungen und Illusionen der Bevölkerung auf Freiheit versiegten im Wüstensand.
Die Hoffnung versickert im Wüstensand
Dann kam der Krieg und parallel dazu die Massenverhaftungen und Massaker, die sämtliche oppositionelle Organisationsstrukturen im Land beseitigten. Es dauerte lange, bis sich die Bevölkerung von diesem Aderlass erholte. Aber als in den 1990er Jahren Chatami auftauchte, der mit Reformversprechen die Hoffnungen der Menschen im ganzen Lande weckte, schien eine neue Zeit gekommen. Chatami wurde zum Präsident gewählt, aber er sah untätig zu, wie die neu entstandenen kritischen Zeitungen, wie die anwachsende Studentenbewegung, wie die aufkeimende Kritik an der Praxis der islamischen Republik mit Polizeigewalt, Verhaftungen und Mord niedergeschlagen wurde. Aus einer Gallionsfigur der Hoffnung wurde eine steinerner Zuschauer des Blutvergießens. Statt die Energie des Protestes zu nutzen und zu fördern, indem er von seinem Amt zurücktrat, ließ er sich ein zweites Mal als Präsident zu den Wahlen aufstellen. Seine Politik war erfolgreich, die Proteste verstummten vorerst. Kein Wunder, dass bei den folgenden Wahlen ein billiger Populist wie Ahmadineschad hochkam, Dank der Unterstützung der Pasdaran und des religiösen Führers. Rafsandschani, der gegen ihn angetreten war, hatte das Nachsehen.
Pasdaran auf dem Durchmarsch
Die Pasdaran, die nach dem Krieg vor allem mit wirtschaftlich einträglichen Posten abgespeist worden waren, traten nun den Marsch durch die Institutionen an. Ahmadineschad tauschte Polizeichefs und Uni-Rektoren im ganzen Land mit seinen Leuten aus, bei den Parlamentswahlen konnte die Pasdaran und Bassidschis die Mehrheit der Sitze einnehmen, es begann eine umfassende Militarisierung des Landes. Vor den Wahlen hatte Ahmadineschad noch polemisiert, dass die Geistlichen das Erdölgeld in die eigene Tasche stopften und dass er nach seinem Machtantritt das Geld unter dem Volk verteilen werde. Aber danach verteilte er es nur unter seinen Kumpanen, wie die anderen auch. Das blieb im Volk nicht unbemerkt, und so war es zweifelhaft, ob er bei der zweiten Präsidentschaftswahl im Jahr 2009 auch nur genügend Leute in die Wahllokale locken könnte, um Unterstützung durchs Volk vorzutäuschen.
In dieser misslichen Lage waren wieder die sogenannten Reformer behilflich. Recht kurzfristig vor den Wahlen durften Mirhossein Mussawi und Karubi noch als Gegenkandidaten auftreten. Die zunehmende Arbeitslosigkeit, die ruinierte Wirtschaft, all das schaffte ein großes Potential an Unzufriedenen, die ihre Hoffnung auf diese Reformisten setzten. Es kam zu einer spontanen Bewegung der Unterstützung für diese Kandidaten im ganzen Land, ein Wahlfieber hatte die Bevölkerung erfasst, wie man es sonst nur aus Ländern kennt, die nach langer Diktatur zum ersten Mal wieder frei wählen dürfen. Diese Bewegung wurde unter dem Namen Grüne Bewegung bekannt.
Was folgte, ist bekannt. Mirhossein Mussawi, der möglicherweise 60 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten hatte und vom Leiter der Wahlbehörde schon als Sieger bezeichnet wurde, wurde von einem Tag auf den anderen zum Verlierer. Ahmadineschad hatte die Stimmen gestohlen. Der Wahlleiter wurde umgebracht, die Studenten verhaftet, der ganze, spontan entstandene Unterstützerapparat von Mussawi und Karubi wurde kriminalisiert und verhaftet. Die Rechnung ging aber nicht so leicht auf, wie sich Ahmadineschad und seine Paten das vorgestellt hatten. Die Bevölkerung ging zu Millionen auf die Straßen. Trotz riesiger Pasdaran- und Bassidschi-Verbände, die die Proteste niederknüppelten, dauerte es über ein Jahr, bis die Regierung dem Volk wieder das Maul gestopft hatte.
Und seitdem herrscht Funkstille, sollte man meinen.
Reformer – dem Namen nach
Dem ist aber nicht so. Mussawi und Karubi, die für jede Kundgebung erst eine Erlaubnis des Innenministeriums beantragen wollten, eben des Ministeriums, das für die Repression mit verantwortlich ist, verloren in den Augen der Bevölkerung an Glaubwürdigkeit. Die Proteste wurden radikaler, die Menschen hatten die Nase voll vom islamistischen Terror. Als Mussawi darauf angesprochen wurde, dass die Protestbewegung eine Führung benötige, antwortete er, dass jeder Iraner sein eigener Führer sei. Und auf die Notwendigkeit eines organisierten Protestes angesprochen, meinte er, jeder Iraner sei eine Organisation für sich. So lehnte er de facto ab, der neuen Bewegung als Kopf zu dienen und ihr zu einer organisatorischen Existenz zu verschaffen. Statt dessen schwärmte er von Chomeinis „Goldenen Zeiten“, die die Bevölkerung allerdings anders in Erinnerung hatten. So hatten er und Karubi keine Hausmacht mehr, als sie schließlich mit ihren Ehefrauen unter Hausarrest gestellt wurden.
Durch die massive Unterdrückung waren im Iran erneut alle Möglichkeiten verloren, eine legale Opposition zu organisieren, die Aktiven mussten erneut in den Untergrund gehen. Die Unzufriedenen setzten nun ihre Hoffnungen auf die Iraner im Exil. Deshalb schlossen sich die im Ausland lebenden iranischen Gruppen enger zusammen, um eine gemeinsame Aktionsplattform auszuarbeiten und Alternativen für die Islamische Republik zu entwickeln. Dieser Prozess hält noch an.
Aus der Sicht der Islamisten ist dies eine neue Bedrohung, auf die sie reagieren müssen. Wie sieht die Reaktion aus?
Vertreter im Westen
Sowohl Mirhossein Mussawi als auch Karubi haben einen Vertreter in den Westen entsandt, Ardeschir Amir Ardschomand als Sprecher für Mussawi, und Modschtaba Wahedi als Sprecher für Karubi. Ardeschir Amir Ardschomand tritt dabei offiziell als Mussawis Vertreter auf, während Modschtaba Wahedi etwas unverbindlicher taktiert. Er bezeichnet sich als ehemaligen Berater von Karubi, deshalb wisse er, was dieser denke. Was für Positionen vertreten diese, was für eine Rolle spielen sie, wen sprechen sie an?
Über Ardeschir Amir Ardschomands Schöpfungen
Der eine von ihnen, Mussawis Sprecher Ardschomand, hat einen blumigen „Rat der Harmonisierung des Grünen Wegs der Hoffnung“ (Shouraye Hamahangiye Rahe Sabze Omid) gegründet, von dem man bislang einzig den Vorsitzenden kennt, nämlich Ardeschir Amir Ardschomand selbst. Ob noch andere Personen in dem Rat sitzen, wie sie hinein kamen und was sie dort tun, hat Herr Ardschomand bislang für sich behalten. Auch über die Finanzierung seiner Aktivitäten erfährt man nichts von ihm. Ardeschir Amir Ardschomand konnte sogar auf dem Internet den Sender „Grünes Medium des Irans“ (Resaneye Sabze Iran – „Rasa“) etablieren (Link: http://www.rasatv.net/). Zur Finanzierung heißt es auf der Webseite des Senders unter der Rubrik „Dar bareye ma“ (Über uns):
„Rasa ist eine nicht auf Gewinn ausgerichtete Institution, die unabhängig von staatlichen und nicht-staatlichen politischen Parteien, Organisationen und Einrichtungen ist. (…) Die finanziellen Quellen dieses Netzes werden ausschließlich auf der finanziellen Unterstützung durch die Bevölkerung und auf Werbung beruhen, von ausländischen Staaten oder ausländischen staatlichen Organisationen wird weder direkt noch indirekt keinerlei Unterstützung angenommen werden.“
Das Interessante an dieser Selbstdarstellung ist, dass dieses Medium so unabhängig sein will, dass es nicht mal von nicht-staatlichen Organisationen abhängig sein soll – was ist dann die Grüne Bewegung oder der Rat der Harmonisierung des Grünen Wegs der Hoffnung, den Herr Ardschomand ja vertritt? Was die Finanzierung angeht, wird im persischen Text ausdrücklich das Futur verwendet, das heißt wir finden kein Wort darüber, woher das Geld kommt, mit dem die Gründung und die bisherige Aktivität finanziert wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Rasa nicht nur aus dem Iran, sondern auch aus anderen Ländern – z.B. Syrien – berichtet, also ein Korrespondentennetz unterhält. Ein transparentes Medium würde darüber hinaus zumindest berichten, welchen Anteil die Werbung an den Gesamteinnahmen hat oder haben soll, denn die Inserenten haben in vielen Medien maßgeblichen Einfluss auf die Themenauswahl und die politische Richtung.
Die Ziele
Mehr noch als die Finanzen sollten uns aber die Grundsätze von Rasa interessieren. Neben vielen Allgemeinplätzen, die jeder Demokrat getrost unterschreiben könnte, findet sich aber auch folgender aufschlussreicher Punkt 7:
„Demokratische Lesart des Grundgesetzes (der Islamischen Republik Iran) und der Ziele der Islamischen Revolution
Rasa betrachtet die Umsetzung des Grundgesetzes der Islamischen Republik Iran auf der Basis einer demokratischen und an den dem Menschen gewährten Rechten Lesart zur Wiederbelebung der Grundziele der Revolution, sprich der Unabhängigkeit, der Freiheit, der Gerechtigkeit und des barmherzigen Islams sowie des Fortschritts als Basis ihrer Tätigkeit und sieht es als ihre Aufgabe an, die Diskussion über eine Reform des Grundgesetzes und der politischen Struktur auf dem Weg der Verhandlung und des nationalen Dialogs unter Beteiligung aller sozialen Schichten zu fördern.“
Wie wir sehen, sollen die Ziele von Rasa nicht in der Errichtung eines säkulären Staates bestehen, und diejenigen, die eine Reform der unter Ajatollah Chomeini verabschiedeten Verfassung aushandeln sollen, sollen zwar alle „sozialen Schichten“ vertreten, aber es ist weder von der Einbeziehung ethnischer Minderheiten (Kurden, Aseris, Turkmenen, Araber, Balutschen) noch von der Einbeziehung der religiösen Minderheiten (Baha‘is, christliche Armenier, Juden, Sufi-Orden, Sunniten) die Rede. Statt dessen gibt es einen extra Absatz über die Wahrung der territorialen Integrität, was zwar als Absage an militärische Interventionen von außen gelesen werden kann, genauso aber auch als Absage an eventuelle Forderungen ethnischer Minderheiten.
Auch der Begriff „dem Menschen gewährte Rechte“ (auf Persisch hoquqe bashari) sticht ins Auge. Wer von den Menschenrechten im Sinne der UN-Menschenrechtserklärung spricht, wählt das Wort hoquqe bashar. Das kleine -i am Ende verrät eine andere Geisteswelt. So werden die Menschenrechte von denen bezeichnet, die darin von Gott gewährte Rechte verstehen und damit wiederum der Geistlichkeit die Definitionsgewalt einräumen. Denn wer außer ihnen ist befugt zu definieren, welche Rechte von Gott gewährt sind?
Die Position von Ardeschir Amir Ardschomand gegenüber anderen oppositionellen Gruppen ist klar umrissen: Alle, die etwas ändern wollen, sollen sich unter einem Dach sammeln, und das Dach ist selbstverständlich die Grüne Bewegung, die er als Sprecher im Ausland zu vertreten vorgibt. Wen er unter diesem Dach akzeptiert, hat er ebenfalls klargestellt: Nur Gruppen, die keine Auflösung der Islamischen Republik verlangen, und nur diejenigen, die das Grundgesetz der Islamischen Republik akzeptieren, sind erwünscht.
Und Modschtaba Wahedi?
Modschtaba Wahedi ist im Ausland erst später auf die politische Bühne getreten, so dass er noch über keinen Internetsender verfügt. In seinen ersten Auftritten im Ausland übte er deutliche Kritik an Rasa TV, dem Medium von Ardeschir Amir Ardschomand. In Anspielung auf den „Rat der Harmonisierung des Grünen Wegs der Hoffnung“ hält er auch nichts von einer „Harmonisierung“, vielmehr ist er der Auffassung, dass die Zeit der Reformisten um ist. Stattdessen fordert er die Abhaltung eines „Nationalen Kongresses“ unter Teilnahme aller politischer Kräfte. Das klingt vielversprechend. Aber wenn er bei seinen Vorträgen nach einer Auflösung der Islamischen Republik und Alternativen gefragt wird, weicht er aus und legt sich nicht fest.
Klempner oder Abrissbirne?
Betrachtet man die Auftritte von Ardschomand und Wahedi oder liest man die Positionen der Monarchisten, der Volksmudschahedin oder einiger linken Gruppen wie etwa der Tudeh-Partei, so gewinnt man den Eindruck, dass es ihnen nicht darum geht, die Islamische Republik abzuschaffen und durch einen demokratischen, säkulären Staat zu ersetzen, sondern nur das eine oder andere Stück zu ersetzen oder zu reparieren, um die Islamische Republik zu bewahren. Natürlich wollen die Monarchisten oder die Volksmudschahedin dabei sehr wohl, dass die jetzt herrschende Elite abdanken muss, damit sie in einem neuen islamischen System ihrer Lesart ihre Anhänger installieren können, aber von einem säkularen demokratischen Staat, der die Menschenrechte garantiert, ist nicht die Rede. Dessen Anhänger finden sich aber sehr wohl: Unter den Studenten und der Grünen Bewegung im Iran genauso wie unter den iranischen Demokraten und einem Teil der Linken im Ausland.
Im Rückblick auf die iranische Geschichte sind wir der Überzeugung, dass nur ein säkulärer demokratischer Staat, der fest an die Menschenrechte gebunden ist, den Wünschen der großen Mehrheit der iranischen Bevölkerung entspricht.

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